Schweden: Lust auf um Orust

Zeitraum: Juli 2018 / Text: Doro, Kristine, Jo / Fotos: Michael, Kristine, Jo

Wir schauen über das Meer… Türkisblau… Eine Schäre… Zehn Schären… Unversehens öffnet sich eine Weite und wir versuchen festzustellen, wo wir sind. Karte, Kompass, Sonnenstand, GPS, Wind-App, Wetter-App, Himmelsbeobachtung und über allem ein sehr stabiles Skandinavien-Hoch. Vieles ist neu in diesem Paddelurlaub. Großgewässererfahrung war bei allen vorhanden, aber dann paddeln im Skagerrak?! Da ist doch so viel Wind, das Meer ist da besonders wild, das Wetter ist dort besonders schlecht… Dies und anderes bekamen wir als Rückmeldung auf die Fahrtenausschreibung, die im Frühjahr an unser Ausschreibungsbrett wanderte. Von ursprünglich neun Teilnehmern blieben dann fünf, die das Projekt im Verlauf des Frühjahrs vorantrieben. Literaturstudium, Kartenstudium, Kontaktaufnahme mit dem Orust Kanuclub, Kontaktaufnahme mit dem Tjörn Kanuclub, Kartenrecherche, Tourenbeschreibungen, Fitmachen der Boote mit seefähiger Ausstattung, Sicherheitstraining, SPEISEPLAN! Schären, da gibt es ja gar keine Bäume, Wellen, das ist dann doch wild – das waren Gründe für einige, dann doch zu Hause zu bleiben. Wir anderen wollten es wissen, wie ein kleines Abenteuer auf der Nordsee sich anfühlt.

Treffpunkt Malmö, Campingplatz unter der Verbindungsbrücke zwischen Kopenhagen und Malmö. Am Samstagabend, den 29.06., haben wir uns dort getroffen, um unsere Schwedenreise zu beginnen. Schon in Deutschland war ja herrliches, stattliches Hochdruckwetter, dieses sollte uns nun für die nächsten 14 Tage nicht verlassen.

Der Campingplatz: Ein Wunder an skandinavischer Technologie und Ordnung. Hundedusche, Kinderduschen in drei Arbeitshöhen, für die Eltern quasi Arbeitsbühne, wenige Meter zum Steg und Strand, um im Öresund morgendlich ein Bad zu nehmen und schon mal Tuchfühlung mit der ach so kalten Nordsee aufzunehmen. Sodann ein schönes Frühstück.

Nach ausgiebigem Schlaf und Frühstück Weiterfahrt, um uns dann am Sonntag auf dem Stocken Campingplatz auf der Insel Orust ein zweites Mal zu treffen. Nunmehr schon mitten in den Schären gelegen, konnten wir einen ersten Eindruck gewinnen wie es wirklich ist: Abladen, Laden der Boote, Herrichten der Boote und dann erstmal in der gemütlichen Bucht von Stocken wassern. Zum Frühstück gibt es Zimtschnecken und Gullbeeren, der Schlaf war lang, die Nacht war kurz. Zwischen 23.45 Uhr und 3.30 Uhr war es immerhin dunkel.

Montag erste Tour von Stocken nach Hermanö, dort kleiner Kaffee in Gullholmen. Dann Umrundung der schönen Insel Lavön. Vorbei an steilen Felsen, flachen Schären, Enten, Seglern wollen wir durch den Lavösund hindurch, um dann wieder in unserem Hauptquartier Stocken anzulanden. Wir finden einen schönen Sund vor, mit steilen Felsen 100 Meter hoch und tiefflaschengrünem Wasser mit munteren Fischen. Begeistert von der Schönheit und beeindruckt vom Wasser wollen wir uns vorkämpfen, um unter einer Brücke und einer starken Verengung des Sundes hindurch zu fahren, aber entweder ist Ebbe oder der Sund ist sowieso schlammig, zunächst denken wir noch wir könnten durch das pfützenartige Wasser hindurchkommen, stellen nun aber fest, dass kein Durchkommen ist, dass wir bis ans Knie in Watt versinken würden, das übrigens äußerst unangenehm riecht. Wie sollte es auch anders riechen, wenn überall die Enten und die Fische unter sich lassen. Kurzum: Etwas mühevoll kämpfen wir uns zurück, um dann bei einem wundervollen Picknick den Frust zu vergessen und statt 2 km zurück etwa 7 km zurückpaddeln müssen. Noch haben wir uns nicht eingeschaut und die Schären sehen zum Verwechseln ähnlich aus, ob sie weiter weg oder näher dran sind, lässt sich auch nicht immer gut entscheiden und wie denn nun auch die Einfahrt nach Stocken aussehen könnte, ist uns nicht ganz klar. Dank der guten Beratung durch den Kanuclub Tjörn haben wir jedoch eine Karte, die uns an all den schönen Stellen Strände, Zeltplätze sowie Bugmöglichkeiten Wasser zu bunkern ausweist. Am Ende unseres ersten Tages sitzen wir begeistert beim Abendbrot und schmieden neue Pläne für die nächste Tour.

Dienstag Fahrt nach Vallerö. Begeistert und gestärkt mit der Kraft der Zimtschnecke starten wir die Tour nach Vallerö.

Vallerö liegt am Rande, also festlandfern, zum offenen Meer. Wir durchqueren auch einmal größere Wasserflächen, 3-4 Kilometer. Dabei müssen wir eine Fahrrinne passieren – alles gut. In Vallerö betreten wir begeistert unser wunderschönstes Eiland inmitten türkisblauer Kanäle, die sich wieder bis flaschengrün und tiefblau wandeln. Wir sind nicht die einzigen, das Eiland ist jedoch genügend groß und Schafe finden auch Platz darauf. Wir beobachten das Meer, das zwischen den Schären hineindringt und doch in Wellen, die hohe Gischt erzeugen und sehr beeindrucken. Nach Picknick, Lesepause, Faulenzen, Land erkunden, und natürlich Robinson Crusoius Fantasien brechen wir am Nachmittag weiter auf, um den kleinen Ort Käringön anzusteuern. Hier findet sich rund um den Hafen ein buntes Treiben, ein Eiscafé und Fischgeschäft für alles, was das Herz benötigt und der Magen auch. Heringe in diversen Zubereitungen sind einfach immer köstlich. Gestärkt treten wir die Heimfahrt an nach Stocken Camping und fragen uns, ob wir nun unsere Orust Umrundung starten, letztlich entscheiden wir uns noch für einen weiteren Tag eingrooven auf dem Meer.

Dritter Tag: Mittwoch. Nun schon etwas sicherer, was uns erwartet, steuern wir nochmals Vallerö an. Wir wissen nun, dass hohe Gischt nicht unbedingt bedeutet, sofort mit dem Boot am nächsten Felsen zu zerschellen, sondern Uwe, Kristine und Jo starten mit einer Inselumrundung. Sie kamen dann auch zurück und sind nicht weiter bis nach Dänemark gepaddelt, der Rückweg war schon beeindruckend, da die gewählte Durchfahrt recht eng war. Die Rückfahrt in unser heimatliches Stocken im Abendlicht erfolgt nun mit einer erfreulichen Zuversicht, größere Strecken gut bewältigen zu können, die Navigation hat auch schon Fortschritte gemacht und wir freuen uns nun, am kommenden Tag mit unserer Orust Umrundung zu starten. Hatten wir doch noch gehört von Per, dass eine Orust Umrundung gar nichts sei und ganz blöd, haben uns dann am 04.07. zu einem Frühstart gezwungen und wundervoll dann endlich abgelegt.

Am 05.07. ging es dann endlich los. Stocken – Bratö, 8,5 km. Beim Morgentee haben wir uns eingeschworen: wir sorgen füreinander, wir teilen miteinander. Während wir aufstehen, frühstücken und alles, alles, alles in die kleinen Stauräume reinpacken, patrouillieren die Möwen, was wir Schönes dabei haben. Kaum dass man sich umdreht, erfolgt schon eine Attacke auf ein schönes, leckeres Frühstücksbrot. Dies ist unsere letzte Mahlzeit am Festland. Technisches Problem: Wir können die Parkgebühr für die Autos am Parkplatz nur per Handy bezahlen, was nicht so einfach ist. Eigentlich war unsere Tour ganz leicht, immer an der Wand lang und dann kommen wir schon nach Bratö. Bratö, das ist eine Idylle aus dem Trollland. Von hier sind es nur noch 4 km bis Mollösund. Das Kilometerraten hat Doro diesen Tag gewonnen. Bratö, das heißt auch „Ntschotschi kommt nach Hause“. Das Gedicht des Tages:

Klatsch
die Blechdose
gibt einen Seufzer, wenn
sie plattgeklopft wird
Granatkiesel.

Unsere abendliche Lesung von Schüttelreimen wird ergänzt aus dem breiten Repertoire der Anwesenden. Es klapperten in der Lodenhose die Hoden lose. Wer anderen in die Möse beißt, ist böse meist. Jetzt gehe ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald. Jetzt essen wir den Suppenhahn, den wir gestern hupen sahen. Und so weiter.

Am nächsten Tag, 06.07.2018, Bratö – Hjälm, 19,7 km. Wir müssen Abschied nehmen von diesem wunderschönen Trolltal, brauchen aber dreieinhalb Stunden weniger Packzeit als gestern. Ein wunderbares kaltes Morgenbad erfrischt uns. Die Nilgänse patrouillieren diesmal unser Frühstück. In Mollosünd, nach bereits 4 km, sehen wir ein wundervolles Schwimmbad mit einem hölzernen Sprungturm in 1,3, 5, 7 und 10 Metern Höhe. Das schönste Schwimmbad der Welt!!!!
Bei Morgans Fisch besorgen wir unser Abendbrot, trinken einen Eiskaffee, shoppen durch das kleine Städtchen Lakritz und fahren um 16 Uhr weiter.

Beim ersten Blick auf Karte und See liegt unser Kurs wieder fest: Links an der Wand lang, dann kommen wir schon an. Verschiedene Denkfehler führen jedoch in kabbeliges Wasser und wir passieren Hindholmen, Kalkerön, Smökholm, Marna und Otterholmen. Oder waren es doch Lindenäs, Otterholmen, Marna, Röerholmen oder Hjälm? Egal, Hjälm taucht rosa im Abendlicht auf. Rosa im Abendlicht ragt der Granit steil ins Wasser. Tiefengrund heißt das Gedicht des heutigen Tages. Für Ntschotschi gibt es wieder einen Adlerhorst, wir finden Blaubeeren und haben kaum Levelground, so dass Jo seinen Platz erst einmal planieren muss an seinem Privatstrand.

Samstag, 07.07., wir verlassen Hjälm und fahren nach Helsenab, wo wir in der Einfahrtsschlucht unsere Zelte aufbauen. Wieder Blaubeeren, es erinnert ein bisschen an die Côte de Granit in der Bretagne. Wir passieren eine Phase mit sehr kräftigem Wind und schaffen es ganz gut. Heute spielt Schweden – England 0:2. An einer Schwimmschule halten wir ein wundervolles Mittagsschläfchen, vor Schlangen wird gewarnt. Wir fahren weiter bei Windstärke 1-2 und übernachten vor einem großen Felsen, heute treffen wir Jo wieder, der gestern beschloss, auf der wunderschönen und zauberhaften Insel Hjälm noch einen weiteren Tag zu verbringen.

Sonntag. 08.07., wir fahren von Helsenab nach Björkholmen. Wieder mal schaffen wir es erst spät. Wir treffen uns um halb elf mit Jo und müssen bereits nach 2,5 km wieder anlanden, um Wasser aufzufüllen. Es netter Eisverkäufer gibt uns auch einen Kaffee gegen BARGELD und wir schaffen es wegen der Hitze einfach nicht schneller wieder zu starten. Vor unserer nächsten Insel passieren wir eine Fahrrinne mit Riesenfrachter, um dann auf einer neuen Märcheninsel zu landen. Vielfältige Cirruswolken, das Wetter wird eventuell schlechter. Märcheninsel ist eigentlich Lummerland, Lummerland morgen kommen wir und singen „Eine Insel mit zwei Bergen“. Heute sind wir 14,28 km gefahren.

Montag, 09.07., Björkholmen – Bratön. Bratön, die Hexeninsel, so ähnlich wie der Brocken im Harz. Als wir drauf zufahren, merken wir schon es windet. Wir geraten in ein Gewitter und können gerade kurz vor Beginn anlanden. Zum Zelte aufbauen kommen wir gerade eben oder eben auch nicht. Dreimal kehrt das Gewitter zurück, zweimal hagelt es heftig. Gleich kommt Macbeth aus den Büschen. Es riecht wundervoll nach Heide. Auf der Hexeninsel am Felsen sind zwei Engel angebracht. 13,3 km.

Dienstag, 10.07., wir fahren von Bratön nach Iältön. 18,4 km. Iältön, wir passieren den „Campingplatz Lehrte am Blauen See,“ dänische Paddler beraten uns, wir genießen Käsekuchen in der Mittagshitze, Joe braucht eine heiße Dusche aufgrund von Allergie und wir fahren weiter ins abendliche Gegenlicht und kommen sehr erschöpft in Iältön an.

Mittwoch, 11.07., von Iältön geht es heute nach Storobjörnholmen. Hier geraten zwei anonyme Mitglieder dieser Gruppe in einen Kaufrausch. Drei weitere Mitglieder der Gruppe beweisen sich als äußerst geduldige Männer. Alles ist leicht und unbeschwert. Wir essen eine schwedische Eiertorte, haben Rückenwind, es ist kein Wölkchen da, wir paddeln an diesem Tag 11,4 km. An unserem abendlichen Platz in Storobjörnholmen sind wir eigentlich im Süden: Zikadengeklapper, blau der Himmel, Wolken ziehen über uns Paddelnde geräuschlos hinweg seewärts.

Gedicht des Tages:

Flitsch
der Granatkiesel
donnert die Büchse platt.
Vagabunden leben ohne
Müll.

Unsere letzte Tour heim führte durch einen Kanal, im zweiten Weltkrieg gegraben, wundervolle Strömung, wir fuhren mindestens dreimal so schnell und waren bereits in einer Stunde 12 km weiter, was dazu führte, dass wir nicht mehr navigieren konnten, weil wir uns das einfach nicht vorstellen konnten oder gespürt hatten. Ein letztes Mal Einkehren in Gullholmen, ein wundervoller Landeplatz inmitten des Gewirrs der Gassen, ein schönes Eis an diesem Hotspot der Schickeria von den Westschären. Das heimische Anlanden in sengender Hitze, wundervoller Service am Kanuverleih mit Waschplätzen in Arbeitshöhe haben uns das Aufgeben des Vagabundenlebens etwas erleichtert.

Nach insgesamt 170 km in zehn Tagen fühlten wir uns frei, kräftig, gut verbunden mit unseren Booten und mit uns und den anderen.

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